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DIE KONSTANTE IST DIE KRAFT

Wenn die Federspannung einer mechanischen Uhr abnimmt, wird auch die Schwingungsweite der Unruh kleiner. Das wirkt sich negativ auf die Ganggenauigkeit aus. Der Konstantkraft-Mechanismus der IWC sorgt für die Abgabe von absolut gleichmässigen Kraftimpulsen an die Hemmung – und damit für eine bisher ungekannte Präzision.

 

Die einzige Konstante, so ein beliebtes Sprichwort, ist die Veränderung. In der Welt der Haute Horlogerie gilt diese Weisheit allerdings nur beschränkt, denn alle Bemühungen in der Uhrmacherei zielen auf absolute Konstanz. Mit anderen Worten: auf exakt gleichmässige Schwingungen der Unruh. Und eine Herausforderung beschäftigt Erfinder und Tüftler seit Jahrhunderten: „Bei Vollaufzug gibt die Feder das grösste Drehmoment ab, was zu einer maximalen Schwingungsweite 

führt. Lässt die Spannung im Federhaus jedoch nach, werden auch die Schwingungen kleiner“, beschreibt Thomas Gäumann, Leiter der Manufakturwerk-Entwicklung bei der IWC in Schaffhausen, den sogenannten Amplitudenabfall. Dieses Phänomen wirkt sich negativ auf die Ganggenauigkeit einer mechanischen Uhr aus.

 

Damit die Unruh immer gleich weit ausschwingt, muss die über das Räderwerk und die Hemmung übertragene Kraft immer gleich gross sein. Solange der Kraftfluss bis zur Unruh aber durchgängig ist, beeinflusst eine abnehmende Federspannung zwangsläufig auch die Amplitude. „Unterschiedliche Lösungsansätze zielen deshalb darauf ab, die abnehmende Energie aus der Feder mit der Hilfe eines zusätzlichen Mechanismus in ein gleichbleibendes Moment umzuwandeln“, wie Gäumann erklärt.

Die konstante Kraftabgabe an die Unruh sorgt für einen extrem präzisen Gang der Uhr

GESUCHT WIRD EINE GLEICHBLEIBENDE KRAFT

Eine Möglichkeit besteht darin, zwischen Federhaus und Räderwerk ein stufenloses Getriebe mit Kette und Schnecke zu schalten. Eine solche Konstruktion, die einem Fahrradgetriebe ähnelt, hatte bereits Leonardo da Vinci im 15. Jahrundert skizziert. Dabei dreht sich das Federhaus um sich selber und wickelt eine Kette auf, die auf einer kegelförmigen Schnecke sitzt. Bei Vollaufzug zieht es am spitzen Ende des Kegels. Weil dort die Hebelwirkung am kleinsten ist, wird ein geringeres Drehmoment auf das Räderwerk übertragen. Je niedriger die Federspannung, desto grösser wird zur Basis des Kegels auch der Hebel und damit das ausgeübte Drehmoment. Über die gesamte Ablaufdauer betrachtet fliesst somit eine konstante Kraft zur Unruh.

 

Ein Antrieb über Kette und Schnecke wurde vor allem bei grösseren Uhren erfolgreich umgesetzt. Er kam beispielsweise bei Marinechronometern auf Schiffen zum Einsatz, wo die Anforderungen an die Präzision extrem hoch waren. Auch in Taschenuhren wurden bereits ähnliche Mechanismen integriert. Weil ein stufenloses Getriebe aber viel Platz benötigt, eignet es sich nur beschränkt für die Verwendung in Armbanduhren.

EINE ZUSÄTZLICHE HEMMUNG INTEGRIERT

Auch die Ingenieure der IWC hat diese Herausforderung über viele Jahre beschäftigt. Und schliesslich fanden sie eine effiziente und technisch elegante Alternative: „Unser patentierter Konstantkraft-Mechanismus integriert zwischen dem Ankerrad und dem Sekundenrad eine zusätzliche Hemmung. Diese spannt jede Sekunde eine Spiralfeder nach, die als temporäres Energiereservoir dient und das Ankerrad mit Kraft versorgt, um die Unruh am Schwingen zu halten“, fasst Gäumann prägnant zusammen. Der Clou dabei ist: Weil die Spiralfeder jede Sekunde mit dem gleichen Winkel nachgespannt wird, ist die an die Hemmung abgegebene Kraft immer gleich. Auch wenn die Federspannung nachlässt, schwingt die Unruh mit der nahezu gleichen Amplitude aus.

 

Der Konstantkraft-Mechanismus ermöglicht einen hochpräzisen Gang der Uhr. Er kommt in der Portugieser Sidérale Scafusia und der Ingenieur Constant Force Tourbillon zum Einsatz und wurde sogar in ein Tourbillon integriert. Dieses Konstantkraft-Tourbillon wurde bewusst auf eine Frequenz von 2,5 Hz getaktet, um jede Sekunde einen Nachspannvorgang der Spiralfeder zu ermöglichen.

—94800 Kaliber

EINE SPIRALFEDER DIENT ALS ZWISCHENSPEICHER

Das Herz des Mechanismus bildet eine Art Schweizer Ankerhemmung. Auf der Achse des Ankerrads sitzt eine dreieckförmige Exzenterscheibe. Darin greift der gabelförmiger Konstantkraft-Anker ein, der mit seinen zwei Paletten am anderen Ende in das sogenannte Stopprad fasst. Nach fünf Schritten des Ankerrads gibt er das Stopprad frei. Es dreht sich um 30 Grad, bevor es erneut blockiert wird. Dieser Ablauf wiederholt sich jeweils nach fünf Halbschwingungen der Unruh. Bei 18’000 Halbschwingungen pro Stunde bestimmt diese Sequenz auch den Sekundenschritt des auf dem Tourbillonkäfig montierten Sekundenzeigers. Bei jeder Drehung des Käfigs wird ein Trieb auf der Ankerradwelle mitgedreht, der ins feststehende Sekundenrad eingreift. Er spannt die unterhalb des Ankerrads sitzende Spiralfeder nach, die über den Anker einen konstanten Kraftimpuls an die Unruh abgibt.

 

«Um das Tourbillon mitsamt dem Konstantkraft-Mechanismus anzutreiben, haben wir die Kaliber 94800 und 94900 mit zwei Federhäusern ausgestattet. Sie bringen während etwa 48 Stunden genügend Kraft auf, um den Mechanismus zuverlässig am Laufen zu halten», wie Gäumann erklärt. Nach zwei Tagen reicht das vorhandene Drehmoment allerdings nicht mehr aus. DasTourbillon geht dann automatisch in den Normalmodus über und bewegt sich in Fünftelsekunden-Schritten vorwärts – im Takt der Halbschwingungen der Unruh.

EINE HERAUSFORDERUNG FÜR DIE KONSTRUKTEURE

Konstruktion und Fertigung des Konstantkraft-Mechanismus stellten für die Ingenieure eine Herkulesaufgabe dar. So umfasst die filigrane Mechanik rund zusätzliche 20 Teile, die in das Tourbillon mit einem Durchmesser von 15,8 Millimetern integriert werden mussten. «Besonders anspruchsvoll war die Definition der verschiedenen Abläufe wie etwa das Auslösen und Stoppen des Konstantkraft-Ankers. Dafür mussten wir ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Funktionalität finden. Auch eine gewisse Reserve muss mit eingeplant werden, damit die komplexen Bewegungsabläufe und Hebelbewegungen immer zuverlässig ausgeführt werden», macht Gäumann deutlich.

EXTREME PRÄZISION ERFORDERT NEUE FERTIGUNGSTECHNIK

Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Konstantkraft-Mechanismus zwischen Ankerrad und Sekundenrad direkt vor der Unruh befindet und sich unmittelbar auf die Schwingungen auswirkt. Deshalb müssen teilweise extrem präzise Toleranzen von nur gerade einem Tausendstelmillimeter eingehalten werden. Konstantkraftanker und Exzenterscheibe werden mit dem Röntgen-Liga-Verfahren gefertigt. «Diese Variante des Liga-Verfahrens verwendet Röntgenstrahlen und ermöglicht extrem homogene Mikrostrukturen sowie eine Masstreue, die mit konventionellen Fertigungstechniken nicht annähernd erreicht werden kann», präzisiert Gäumann. Ein wichtiger Faktor ist auch die Materialwahl: Die Kurvenscheibe ist aus Massivgold, der Konstantkraft-Anker aus Nickelphosphor gefertigt. Weil Gold leicht selbstschmierend ist, hat sich diese Kombination für die trockenlaufenden Reibungspartner als optimal erwiesen.

Nur gerade drei hochqualifizierte Spezialisten der IWC können die Montage eines Konstantkraft-Tourbillons im Alleingang meistern.

NUR GANZ WENIGE BEHERRSCHEN DIE MONTAGE

Die Montage eines Konstantkraft-Tourbillons ist selbst für die erfahrendsten Uhrmacher eine Geduldsprobe: Ganze zwei Wochen verbringen sie damit, den nur 0,7 Gramm schweren Mechanismus aus 104 Einzelteilen zusammenzusetzen. Eine Aufgabe, die nur gerade drei hochqualifizierte Spezialisten der IWC im Alleingang bewerkstelligen können. Für Gäumann ist das Konstantkraft-Tourbillon nicht nur ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, sondern auch ein Paradebeispiel dafür, wie hoch der Anspruch an das Engineering und die Innovation bei der Schaffhauser Manufaktur ist. «Dass wir eine Jahrunderte alte, uhrmacherische Herausforderung auf eine technisch elegante und funktionelle Art lösen konnten, macht mich besonders stolz», meint er abschliessend.

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